Interview Dr. Kaltenbrunner - Freiraeume
WDR Pavillon Köln

Ist draußen das neue Drinnen?

Der „öffentliche Raum“ hat in den letzten Monaten viel Aufmerksamkeit bekommen – neue Ideen zur Nutzung und ein Bewusstsein für seine Qualität sind entstanden. Als Unternehmen, das mit seinen Produkten die Schnittstelle zwischen Innen- und Außenraum neu und differenziert gestaltet, stellten wir uns die Frage: Was bedeutet es, wenn private und öffentliche Interessen unter neuen Prämissen aufeinandertreffen? Wir fragten nach bei Dr. Robert Kaltenbrunner. Er beobachtet und erforscht als Architekt, Stadtplaner und Autor schon lange die Beziehung von Gesellschaft und Stadtraum.

Interview

Dr. Robert Kaltenbrunner

Was ist für Sie öffentlicher Raum, was macht ihn aus und was unterscheidet ihn evtl. auch von anderen Räumen, die wir in der Stadt erleben?

DR. ROBERT KALTENBRUNNER
DR. ROBERT KALTENBRUNNER

"Es gibt einen tollen Satz von dem französischen Philosophen Roland Barthes: „Was denkt der Liebende von der Liebe?“, fragte er, um sich die Antwort dann gleich selbst zu geben: „Kurz gesagt, nichts. Er möchte zwar wissen, was das ist, doch weil er befangen ist, nimmt er nur ihre Existenz, nicht ihre Essenz wahr.“ So ähnlich verhält es sich mit dem öffentlichen Raum. Wir leben in ihm, reflektieren aber nicht, was ihn ausmacht, sondern halten ihn für selbstverständlich.

Momentan erfährt der öffentliche Raum viel Aufmerksamkeit – auch gesellschaftspolitisch –, dennoch bleibt er seltsam unbestimmt. Zudem schwingt oft auch eine falsche Erwartung mit, irgendwie romantisch und vergangenheitsselig.

Ich glaube, dass der öffentliche Raum nicht ein Raum des Wohlgefallens und der Harmonie ist. Vielmehr ist er wohl eher einer des Zanks, der Anmache, der Überforderung – doch ohne eben dies ist Urbanität nicht zu haben."

Sie schreiben über die Auswirkung der Corona-Krise: „Der wirkliche Freiraum des Individuums verlagert sich in den öffentlichen Raum.“ Können Sie das näher erklären?

WDR Pavillon Köln bei Abendlicht
WDR Pavillon Köln bei Abendlicht
Der WDR-Pavillon öffnet den ehemals verwaisten Hanns-Hartmann-Platz für Nutzer. Mit einem gastronomischen Angebot und großer Offenheit u.a. durch großzügige Glas-Faltwände wird der Platz attraktiv und belebt. (Architektur: design team c (ehem. CORSMEIER), Köln)

"In Corona-Zeiten hat sich die Bedeutung des öffentlichen Raums als einzig belastbares Komplementär zur privaten Wohnung bewiesen. Ich denke, dass bestimmte Raumkategorien wie Wohnung oder Büro funktional sehr eng und festgelegt sind. Der öffentliche Raum und der Freiraum sind das, wenn sie richtig Wirkung entfalten sollen, eben nicht. Sie sind multifunktional, vielfach codierbar."

Was bedeutet es für den öffentlichen Raum, wenn sich private Aktivitäten verlagern?

Mehrzweckgebäude mit Glas-Faltwand aus Kupferblech
Mehrzweckgebäude mit Glas-Faltwand aus Kupferblech
Das Mehrzweckgebäude mit raumhoher Glas-Faltwand aus vorverwittertem Kupferblech kann unterschiedlich bespielt werden. Damit gibt er dem Dorfplatz im bayrischen Barbing seine Funktion als Treffpunkt und Ort der Kommunikation zurück. (Architektur: Querluft Architekten, Straubing)

"Unabhängig von der aktuellen Situation findet die wachsende Individualisierung schon länger im öffentlichen Raum ein zentrales Forum. Subkulturen und unterschiedliche Gruppen eigenen sich den öffentlichen Raum an und verändern ihn. Viele dieser Bewegungen beanspruchen für sich eine eigene Öffentlichkeit.

Ob nun Rave, Urban Gardening oder Palettenmöbel, ob Reclaim the Streets oder Stadtpioniere: In und mit solchen - mitunter anarchischen - Aktionen scheint sich tatsächlich eine Art des gesellschaftlichen Wandels anzukündigen: Das Verhältnis von individueller Handlungsautonomie und sozialer Ordnung wird auf der städtischen Bühne gerade neu austariert."

Wie muss öffentlicher Raum gestaltet sein, um möglichst viele Freiräume zu bieten?
Mehrzweckgebäude mit Glas-Faltwand am Dorfplatz
Mehrzweckgebäude mit Glas-Faltwand am Dorfplatz

"Ich glaube, das Wissen darum, wie vielschichtig und widersprüchlich die unterschiedlichen Interessen sind, hilft, sich Fesseln anzulegen, wenn man den öffentlichen Raum gestalten will. Es geht nicht nur darum, Stadt- oder Freiraum als ästhetisches Erlebnis zu inszenieren.

Architekten und Planer können sich bei der Gestaltung durchaus an Zwecken orientieren. Doch wie das, was da geplant und gebaut wird, eigentlich genutzt wird, ist Sache der Nutzer. Und das ist oft anders als beabsichtigt.

Es gibt keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Öffentlichkeit und Gestaltung. Aber auch wenn „Raumprogramme“ für sich genommen außerstande sind, Defizite und Beschädigungen im städtischen Leben zu beseitigen, so können sie doch strategisch eingesetzt werden, um der Gesellschaft zu nutzen.

Wenn man es so sagen kann, ist die neue Nutzung des öffentlichen Raums und die Auseinandersetzung mit ihm nicht nur in Planerkreisen, sondern in der gesamten Gesellschaft und in der Politik ein positiver Nebeneffekt der momentanen Situation."